„Drei Dinge, die mir das Leben gerettet haben“ – Karsten läuft gegen Depression

Montagnachmittag, 3 Grad Celsius und die Pfützen auf den Feldwegen rund um Lübeck reichen knöcheltief in den aufgeweichten Boden. Karsten wartet bereits gut gelaunt in wetterfester Laufmontur auf dem Parkplatz in der Nähe seiner Wohnung. Die „steife Brise“ und der Matsch stören ihn nicht: „Man muss sich einfach in den „Allerwertesten“ treten und die Laufschuhe schnüren.“ 

„Vielleicht hat mein Sohn mir damals das Leben gerettet. Er ist nach wie vor mein Fels in der Brandung.“

Wir traben locker auf einem befestigten Weg los und Karsten beginnt zu erzählen: „Ich bin 46 Jahre alt und habe eine rezidivierende Depression.“ Er kann nicht genau sagen, wann er seine erste depressive Episode hatte aber vor elf Jahren hatte er seinen ersten Zusammenbruch. „Damals wusste ich nicht, was mit mir los ist. Ich habe stark Gewicht verloren, hatte Magenbeschwerden und irgendwie hat mir nichts mehr Freude bereitet.“ Karsten litt unter Depression mit psychosomatischen Symptomen aber sein Hausarzt erkannte die Krankheit nicht. In seinem Job wurde Karsten stark gefordert und irgendwann ging es nicht mehr. „Ich hatte damals unglaubliches Glück. Mein Sohn wurde geboren und ich kündigte meinen Job. Ich hatte ein halbes Jahr, um mich zu erholen. Vielleicht hat mein Sohn mir damals das Leben gerettet. Er ist nach wie vor mein Fels in der Brandung.“  

„Es wäre okay gewesen nicht mehr da zu sein und auf dem Weg zur Arbeit habe ich oft darüber nachgedacht das Steuer einfach rumzureißen.“

Wir biegen auf den ersten Feldweg ab und unsere Laufschuhe versacken tief im Matsch. Wir laufen einfach weiter, so wie Karsten damals einfach weiterlief. Laufsport war der zweite Lebensretter in seiner Krise, die er ohne Behandlung und ohne Wissen über seine Erkrankung an Depression durchlebte. „Laufen half fast immer – auch wenn ich damals eher vor meinen Problemen weggelaufen bin.“ Seine Schwermütigkeit begleitet ihn dennoch weiter und neue Aufgaben, wie der Umbau seines Hauses, führten ihn in eine neue Abwärtsspirale. „Meine Gedanken kreisten permanent in meinem Kopf und selbst die kleinsten Hürden im Leben schienen unüberwindbar. Auf der Arbeit war ich nur noch physisch anwesend.“ Irgendwann half selbst das Laufen nichts mehr und Karsten dachte „passiv“ über Suizid nach: „Es wäre okay gewesen nicht mehr da zu sein und auf dem Weg zur Arbeit habe ich oft darüber nachgedacht das Steuer einfach rumzureißen. Was wäre schon passiert? Meine Familie und Freunde hätten eine Zeit getrauert aber das wäre vorbeigegangen.“ 

„Sie holte mich da raus!“

Eine Arbeitskollegin von Karsten, die selbst an Depression erkrankt war, bemerkte damals seine Depression und bot sensibel ihre Hilfe an. Sie klärte Karsten über die Krankheit auf und vermittelte den ersten Kontakt zu Karstens späteren Therapeuten, den er heute „Guru“ nennt: „Eines Abends saß ich auf einem Stuhl in der Küche, nichts ging mehr und meine Frau sagte zu mir, dass ich Hilfe bräuchte. Das war die Schlüsselsituation in der ich mit dem Wissen über meine Depression aktiv wurde. Ich rief meine Arbeitskollegin an, die innerhalb von 30 Minuten bei mir war und mich in das Uniklinikum Lübeck brachte. Sie holte mich da raus!“ Karsten war acht Wochen stationär in Behandlung. Danach war es ein langer Weg zurück ins Leben. Sein Familienleben litt sehr unter der Situation und so zog er nach der klinischen Behandlung zunächst nicht zurück zu Frau und Sohn. Er mietete eine Wohnung und begab sich in Einzel- und Gruppentherapie, um sich seiner Situation zu stellen. Seine Depression konnte erfolgreich durch professionelle Hilfe behandelt werden und begleitend dazu suchte er immer die Bewegung im Laufsport. „Ich verstand welche positive Kraft das Laufen eigentlich für mich hat – es ist einfach gesund. Ich machte mich von vielem frei, verkaufte das belastende Haus und kehrt zu meiner Familie zurück.“ Auch heute ist Karsten noch in Therapie und arbeitet an sich. Bekräftigt durch seinen Therapeuten, hat er die Selbsthilfegruppe „Lauftreff Kopfsache“ gegründet.  

„Ich habe gelernt, dass man sich im Leben, wie beim Laufen manchmal in den „Allerwertesten“ treten muss.“

Wir nähern uns dem Ziel unserer Laufrunde und Karsten erzählt von seinen Zielen mit der Laufgruppe: „Ich bin kein ausgebildeter Therapeut oder Trainer. Ich bin einfach jemand, der anderen helfen möchte, sich selbst zu helfen. Ich habe gelernt, dass man sich im Leben, wie beim Laufen manchmal in den „Allerwertesten“ treten muss. Ich habe es mit meinen Erkenntnissen relativ einfach gehabt – anderen fällt der eigene „Tritt in den Allerwertesten“ deutlich schwerer. Trotzdem möchte ich meine positive Energie weitergeben.“ Karsten bot anfangs seine Hilfe über ebay Kleinanzeigen an und hat heute eine eigene Webseite. Zehn Menschen sind mittlerweile über eine WhatsApp Gruppe mit ihm vernetzt. „Einige der Interessenten beobachten nur passiv unsere Verabredungen, andere sind aktiv dabei und kommen zu den vereinbarten Treffen. „Manchmal ist es auch etwas frustrierend, weil niemand kommt. Ich versuche das Positive daraus zu ziehen und sehe es als Motivation mein eigenes Training zu absolvieren. Die Laufschuhe sind ja sowieso schon geschnürt.“ 

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Hinter der Story

Karsten ist im Rahmen des Adventslauf Ratzeburg auf Wirfueryannic e.V. aufmerksam geworden. Er ist mutig auf uns zugekommen und hat uns von seiner Geschichte als Betroffener erzählt. Gemeinsam möchten wir uns für einen angemesseren Umgang mit psychischen Erkrankungen in unserer Gesellschaft einsetzen. Das Interview mit Karsten hat Patrick Pilz geführt, der ihn auf seiner Laufrunde begleitet hat. Wer Lust hat mit Karsten zu Laufen, kann über seine Webseite mit ihm in Kontakt treten. #letsbeatdepression

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